Die Vertrauensarbeitszeit und das liebe Leid mit dem Stechuhr-Urteil
In den letzten Wochen ist mir vermehrt berichtet worden, dass Unternehmen teils in geradezu panischer Manier das Urteil des EuGH vom 14.05.2019 (A.: C-55/18) inzwischen bereits umgesetzt haben. Gehört habe ich auch schon, dass die „Vertrauensarbeitszeit doch gar nicht mehr erlaubt sei.“
“Arbeitgeber fürchten Rückkehr zur Stechuhr” so eine Schlagzeile im Handelsblatt. Vom Ende der Vertrauensarbeitszeit ist die Rede, gar vom erzwungenen Vertrauensbruch der Arbeitgeber in ihre Beschäftigten.
Zur Erläuterung: Am 26.07.2017 erhob die CCOO – eine spanische Arbeitnehmervereinigung – gegen die Deutsche Bank eine Feststellungsklage, diese sei verpflichtet, ein Zeiterfassungssystem einzurichten, um dadurch die Einhaltung der vorgesehenen gesetzlichen Arbeitszeit sowie der geleisteten Überstunden erfassen zu können. Der spanische Nationale Gerichtshof urteilte zwar, dass die Deutsche Bank die Vorschriften des spanischen Arbeitszeitgesetzes einhalte, eine solche Pflicht nach der nationalen Regelung daher nicht vorläge, legte aber die Frage, ob die nationale Regelung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie entspreche, dennoch zur Entscheidung dem EuGH vor.
Dieser entschied sodann, dass die spanische Regelung, die in Deutschland ähnlich über § 16 Absatz 2 ArbZG umgesetzt wurde, die europäische Arbeitszeitrichtlinie eben nicht hinreichend umsetze und damit nicht europarechtskonform sei.
In seinem am 14.05.2019 getroffenen Urteil legte der EuGH fest, dass die MITGLIEDSSTAATEN verpflichtet seien, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, wonach alle Arbeitgeber verpflichtet seien, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten durch ein “objektives, verlässliches und zugängliches System” zu erfassen.
Wenngleich nicht wenige Stimmen seit September 2019 den Unternehmen schon dringend angeraten haben, das sog. Stechuhr-Urteil umzusetzen, ist zunächst die Bundesrepublik Deutschland gehalten eine entsprechend “richtige” gesetzliche Regelung zu schaffen.
Der EuGH hat diesbezüglich nämlich auch betont, dass die Mitgliedsstaaten einen nicht unerheblichen Gestaltungsspielraum haben.
Wie diese Zeiterfassung am Ende aussehen wird, und welche Arbeitgeber überhaupt davon betroffen sind, wird sich ebenfalls erst noch zeigen. Insofern besteht noch Hoffnung, dass die auch von vielen Arbeitnehmern hart erkämpfte Vertrauensarbeitszeit eben nicht verloren ist.
Da die europäische Arbeitszeitrichtlinie in ihren Grundfesten die Gesundheit der Arbeitnehmer schützen will und dieser Schutz in Zeiten von Smart-Working, Arbeit 4.0 und Co durchaus notwendig ist, sollten Unternehmen die Zeit bis zu einer etwaigen Umsetzung im Arbeitszeitgesetz aber jetzt schon nutzen, sich mit den Möglichkeiten der Zeiterfassung in modernen Arbeitszeitmodellen vertraut zu machen. „The best way to predict the future is to invent it“ (Alan Kay).
Die Einführung einer Arbeitszeiterfassung bereits jetzt macht im Übrigen auch im Hinblick auf die Beweislastverteilung im Vergütungsprozess Sinn. Wenn nämlich der Arbeitnehmer seine Arbeitszeiten dokumentiert und darlegen kann, kann ein Arbeitgeber ohne entsprechende Dokumentation nicht substantiiert entgegen treten, so dass der Vortrag des Arbeitnehmers als zugestanden gelten würde.